Krawatte und Politik – Spanien bizarr
Wohin man auch blickt, überall zeigen sich offene Hemdkragen. In Zeiten von Business Casual und Büros ohne Kundenkontakt hält sich die einstige Business-Uniform aus dunkelgrauem Anzug, weißem Hemd und gestreifter Krawatte nur noch in wenigen Hochburgen klassischer Herrenmode. Eine dieser Bastionen war schon immer klassischerweise die Politik. Über Krawatten wird schon mal die politische Einstellung kommuniziert und Erscheinungsbild beim Wähler geprägt.
Manchmal allerdings auch nicht. Wie erst neulich im sonnenverwöhnten Spanien. Miguel Sebastián, seines Zeichens Industrieminister des Königreichs, verzichtete demonstrativ auf den Binder und fing sich damit eine energische Rüge von Parlamentspräsident und Parteikollegen José Bono ein.Als Politiker habe man ja schließlich eine Vorbildfunktion und müsse sich anständig kleiden. Wie immer gut informierte Kreise behaupten gar, Bono habe sich unter der Hand noch ein wenig heftiger geäußert.
Begründet hatte Sebastián den Eklat übrigens mit Klimaschutz. Jedes Grad weniger Kühlung bei der Klimaanlage senke den Energieverbrauch um etwa sieben Prozent. Und bei tropischen Temperaturen seien es gerade die öffentlichen Gebäude, die ihre Klimaanlagen durchgehend voll auslasten.Verteidigungsministerin Carme Chacón unterstellte gar dem Parlament mittlerweile Sibirische Verhältnisse, was die Innentemperatur anbelangt. Fraktions-Sekretär Eduardo Madina hingegen hält die ganze Debatte für überzogen. Schließlich solle ein Mann sich so kleiden können, wie er es für angemessen hält. Und wenn es ohne Krawatte und nur im offenen Hemd ist.
Kurzum: kaum ein Thema spaltet die Gemüter so wie der neueste Krawatten-Streit. Die Medien berichten über kaum noch etwas anderes. Dabei hat das Land genug ernsthaftere Probleme: die Wirtschaft ist um fast drei Prozent geschrumpft, und bei Staatsanleihen hat man sich kräftig verschätzt, was das Zinsniveau anbelangt. Zudem haben rigoroser Sparkurs und unpopuläre Entscheidungen zu Protestbewegungen geführt. Bei der Auflösung einer Demonstration in Madrid im Mai gab es über hundert Verletzte. Aber was sind schon ein paar gebrochene Knochen oder entgangene Milliarden, wenn man sich so herrlich über seine Herren Volksvertreter aufregen kann?
Der bizarre Streit eskalierte: José Bono ließ Sebastián über einen Saaldiener eine mit kleinen Löwen bedruckte Krawatte zustecken angeblich kurz zuvor im parlamentseigenen Souvenirshop erworben. Dieser legte sie demonstrativ nicht an. Als nun noch Arbeitsminister Celestino Corbacho den Binder abnahm und äußerte, man könne auch ohne Krawatte offiziell aussehen, war das Chaos perfekt.
Der Gedanke ist an und für sich dabei nicht neu. Auch Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi hatte schließlich im Rahmen seiner "Cool Biz"-Kampagne dazu aufgerufen, den Binder wegzulassen und dafür die Klimaanlage zurückzustellen. Anders als in Spanien ist dort allerdings der Anteil von Klimaanlagen am gesamten CO2-Ausstoß um ein Vielfaches höher. Denn der sonst hier führende individuelle PKW-Verkehr spielt im beengten Japan kaum eine Rolle.
Offizielle Konsequenzen kann dieser Streit allerdings nicht haben. Anders als beispielsweise vor Gericht ist die Kleiderordnung in Parlamenten nur selten offiziell geregelt.
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